Im Herbst 2019 bekam die Waldeck Besuch von einer bündischen Fahrtengruppe. Sie kamen aus Berlin, hatten dort im Umland eine Legebatterie entdeckt, kurzerhand ein Huhn befreit, es Lilith getauft und es einfach mitgenommen auf ihre Reise. Dem Huhn schien es nichts auszumachen, es wurde gefüttert und nicht mehr von den anderen Hühnern gepickt. So kamen sie nach einer Fahrt quer durch Deutschland auf der Waldeck an und fragten Schrubbi und Vera, ob man nun das Huhn bei ihnen lassen dürfe. Denn die Waldeck war die letzte Station ihrer Tippelei und in einer Berliner Dreizimmerwohnung wäre es nicht vertretbar, ein Huhn zu halten.
Zu dem Zeitpunkt war auf der Waldeck schon eine kleine, aber prächtige Hühner-Gang auf dem Platz unterwegs. Sven und seine vier Mädels „die Gang“ waren im Wald unterhalb des Parkplatzes in einen umgebauten Anhänger eingezogen und zogen über die Wiese und um die Häuser.
Je nun, ein Huhn mehr oder weniger! Das Wanderhuhn durfte bleiben. Bisher nur ein Leben in enger Käfighaltung gewöhnt, konnte sie zwar schon auf Fahrt etwas von der Welt und dem blauen Himmel kennenlernen, nun aber hatte sie das freie Leben auf der Waldeck und musste auch damit zurecht kommen. Wir dachten sie überlebt keine drei Tage!
Die Gang war zunächst skeptisch. Noch ausgemergelt und geschwächt von der Legebatterie wurde Lilith nun auch hier gemobbt. Sie folgte der Gang trotzdem in gebührendem Abstand und genoss ihr neues Leben in vollen Zügen. Nach und nach besserte sich auch ihr sehr zerrupftes Aussehen, Federn wuchsen nach, die Piesackerei nahm ab.
Das Mobbing der Gang hatte den Effekt, dass sie Menschen als Beschützer wahrnahm und ihre Nähe suchte. Frida & Elsa brachten ihr geduldig das scharren nach Futter bei, Lilith lässt sich streicheln und hat wenig Angst vor Menschen. Respekt nun allerdings auch nicht immer in ausreichendem Maß. Unbemerkt inmitten von Menschen vor der Bühne sprang und flatterte sie senkrecht in die Höhe, so dass sie den Teller, den Bölkes vor seiner Brust zum Verzehr bereithielt, erreichen konnte, schnappte sich ein Stück Baguette und suchte sodann das Weite. Ein Gesichtsausdruck, an den man sich gerne erinnert.
Zwischenzeitlich (als 2021 ein neuer Schwung Junghühner schlüpfte) war ihr Platz sogar ganz oben in der Hackordnung. Bis zu ihrer Rente legte sie zuverlässig die dicksten Eier und im Juli 2022 starb sie unter freiem Himmel umgeben von ihrer Freundinnen.